Weihnachten in Polen - Keine Panik. (Traditionen, Essen, Kirche) | Familie ohne Grenzen

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Weihnachten in Polen? Keine Panik!

Under the table sheet you have to put some hey - a Polish Christmas tradition reminding you to Jesus birth; Photo: Thomas Alboth

Wer eine polnische Frau heiratet, kommt nicht um den Zauber der polnischen Weihnachten umher. Ich selbst komme aus Deutschland, Ostdeutschland um genau zu sein. Das Land der „Jahresendfiguren mit Flügeln“ (Engel) und des Jahresendfestes (Weihnachten). Marxistische-deutsche Gemütlichkeit. Polen ist zum Glück anders. Ich verrate Euch, wie man ein polnisches Weihnachten überlebt.

Ungläubig sehe ich diese Kirchentüre – wie am Hals einer Eieruhr schieben sich gläubige Schäfchen durch das göttliche Nadelöhr. Doch es war nicht Weihnachten, nicht Ostern, sondern ein Standardsommersonntagnachmittag irgendwo in Polen. Diese Szene ist tief eingekratzt in meinem Polenbild. Diese Leute sind verrückt auf Gottesdienst. Kirchen betrat ich in Jugendtagen nur einmal pro Jahr – zu Weihnachten.

Ein paar Sommer später auf einer Journalistenkonferenz in Brüssel lief mir ein süßes polnisches Mädchen über den Weg: verschmitzte Lippen, grünes, flatterndes Kleid und Augen für mich. Das folgende Weihnachten finde ich mich wieder an ihrem Tisch in einer kleinen, warmen Wohnung in Warschau, mit Babcia (Oma) Wiesa, Adam und Ulla (den Eltern), Agata der kleinen Schwester, ihr Bruder Kuba im Rollstuhl und Vena dem Hund. Ich hatte sie bis dahin kaum gesehen und verstehe nicht viel von dem was sie sagen. Nur Vena sprach irgendwie meine Sprache. Diese Famile liebt mich und ich liebe sie. Verstehen bedarf machmal keiner Worte. Weihnachten in Polen ist zauberhaft anders.

Polnischen Weihnachtstafeln haben immer ein Gedeck mehr als nötig: für Gäste – mögen sie anwesend sein oder nicht. Unter der Tischdecke liegt ein kleines Bündel Heu – Jesus-Like.

Doch bevor sich alle auf das Essen stürzen, stehen sie auf, wandeln umher mit kleine weißen Oplaten (opłatki) in der Hand. Ich bin davon nicht ausgenommen, auch wenn ich nicht wirklich verstehe was ich damit tun soll. Doch langsam beobachte und verstehe ich: ich wer mir gegenüber steht, bekommt ein Stückchen meiner Oplate und einen persönlichen Wunsch von mir. Dann verschluckt man das weiße gemackfreie Stückchen Laib Jesu und die Wünsche des anderen und wandelt weiter. Nicht so einfach am Stück für sechs Leute persönliche Wünsche zu finden. Doch inzwischen bin ich polonisiert, kenne alle am Tisch und bin zu einem meisterlichen Wünscheformulierer erwachsen.

Fisch ist erlaubt - aber kein Fleisch beim polnischen Weihnachtsessen
Fisch ist ok – aber es kein Fleisch zum polnischen Heiligabend – eine katholische Tradition

Es das geschafft, geht es los mit Essen. Mjjjam. Die perfekte polnische Hausfrau (kura domowa) serviert zwölf verschiedene Speisen, nicht nacheinander, sondern auf einmal – für jeden Monat des Jahres ein anderes Gericht. Wer nicht vom allem etwas ist, riskiert nicht etwa schlechtes Wetter, sondern hat schlichtweg weniger Glück im nächsten Jahr. In Polen stehen Aberglauben hoch im Kurs. Also ran an die Teller!

Das Problem dabei ist, es zählt vor allem die Zahl und nicht unbedingt den Geschmack. Doch bei meinem ersten Weihnachten in Warschau enttäuschte ich niemanden. Tapfer nahm ich von allem, lernte Leckeres von Essbaren und Ungenießbarem zu unterscheiden.

Unter lecker fällt auf jeden Fall eine dünne Rote-Beete-Suppe namens barsz (hier eher bekannt als Bortsch – wobei die Ukrainisch russische Version deutlich gehaltvoller ist) mit „Öhrchen“ (gefüllte Teigtaschen), Pierogi (die polnische Version von Pelmeni), Lachs, verschiedene Salate.

Aber, es gibt auch andere seltsame Dinge: Karpfen in Aspik, Nudeln en Mohn(sauße), roher Hering im Zwiebelölbad (keiner will Dich dananch mehr küssen). Doch nicht einmal die lieben Polen wagen sich an all diese Sachen ran. Also keine Angst vorm Nichtessen. Ich selbst wollte anfangs freundlich sein und nahm und nahm und gab so manche zweifelhafte Speise dem Labrador zu meinen Füßen. Er mag alles und liebt mich seitdem abgöttisch.

Zu Hause kochten Oma und Mama zu Weihnachten meist einen Braten: einen Hase, Federvieh, machmal Roulade, Klöße, braune Soße, Rotkraut. Das Essen begann mit einem Gläschen Rotwein.

Da ich nun „mein“ Polen schon ein bisschen kenne, war ich überrascht, kein Fleisch auf dem Tisch zu finden. Normalerweise zieht man dort Kinder mit Muttermilch und Cabanossi (Würstchen) groß. Ein Tisch ohne Fleisch ist ein Tisch ohne Essen. Zu Weihnachten gilt plötzlich nichts mehr von alledem. Die Welt steht Kopf. Und warum? West-Katholische Religion, belehrt mich Wikipedia: Fasten vor den großen Festen. Doch schon am ersten Weihnachtsfeiertag ist all dies vergessen. Polen ist wieder Polen.

Die zweite Überraschung betrifft den Alkohol. Gläschen Wein, Bierchen? Nüschd. Unsere östlichen Nachbarn ziehen zwar nicht die Kinder mit Alk groß, aber mit der Pupbertät stellt sich eine natürliche Affinität zu hartem Zeug ein: Vodka, diverse Eigenbrödeleien aus Spiritus mit irgendwas (Obst, Schoki, Zitronen – was auch immer) angesetzt werden ab diesem Lebensabschnitt zum Grundbedürfnis. Wenn Ihr’s mir nicht glaubt, geht auf einen polnische Hochzeit oder heiratet in eine polnische Familie ein.

Doch zu Weihnachten gilt wieder der Fastenbann. Aber schon der erste und zweite Weihnachtsfeiertag ist für polnische Verkehrspolizisten ein Hochtag: sie dürfen auf jedem Radiosender erklären, wie viele Leute sich auf dem Weg nach Hause oder beim Besuchen der Verwandten die Birne eingefahren haben wegen Alkohol am Steuer und wie viele Leute sie bei groß angelegten Kontrollen aus dem Verkehr gezogen haben.

Anstelle von Alkohol gibt es zu Weihnachtsessen (Wigilia) einen Drink namens kompot: Ein abscheuliches Gebräu aus aufgekochen Trockenfrüchen wie Morellen, Äpfel, Kirschen … Wenn ihr mich fragt, es schmeckt wie der Aufguss eines Aschenbechers mit heißem Wasser und vergammelten Früchten. Wohl einer der Gründe, warum in Polen zu Weihnachten Coca Cola ebenfalls zu einem Standardgetränk geworden ist. Es ist einfach noch besser als Kompot.

Nachdem alle Dinge vom Tisch aufgegessen sind müssen die Kinder raus aus dem Haus um den ersten Stern am Himmel zu suchen. Auf wundersame Weise tauchen in genau dieser Zeit Geschenke unter dem Weihnachtsbaum (übrigens eine deutsche Erfindung, wie ich in Polen lernen musste) auf . Deutsche Gemütlichkeit als Exportprodukt.

Zu Weihnachten vor einer Kirche in Warschau; Photo: Thomas Alboth
Wer zu spät kommt muss drauen warten vor der Kirchentüre (Warschau); Photo: Thomas Alboth

Kurz vor Mitternacht brechen alle in die Kirche auf. Wer noch einen Sitzplatz ergattern will, geht lieber zeitig hin. Ansonsten steht man eben draußen in der Kälte für ein Stündchen. Danach hat man kalte Füße und wüscht sich marxistischere Weihachten zurück.

An den nächsten Tagen werden die Polen zu Nomdaden und ziehen von Familie zu Familien, trinken, essen Kuchen. Eine gute Lösung zu dem permanenten Problem in Deutschland: bei wem verbringen wir den Weihnachtsabend. Beim nächsten Mal vielleicht in Polen?

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